Veröffentlichung zweier Briefe von Prof. Dr. Uta Ranke-Heineman vom 14.6.1987.

Anmerkungen von Dr. Lutz Felbick, Aachen

Die folgenden zwei Briefe aus dem Essener Privatarchiv von Frau Prof. Dr. Uta Ranke-Heinemann wurden von mir am 26.10.2012 dort eingesehen und liegen mir inzwischen als Kopien vor. Der Spiegel hat diesen Briefverkehr eingescannt. Sofern eine ordnungsgemäße Archivierung erfolgt sein sollte, liegen diese Briefe ebenfalls im Archiv des Essener Bistums und in dem Archiv von Kardinal Ratzinger vor. Die Korrespondenz zwischen Uta Ranke-Heinemann und dem Generalvikar liegt allerdings nach Auskunft des Bistumsarchivs bis zum Jahr 2027 unter Verschluß (telefonische Auskunft vom 7.11.2012).

In den Briefen wird eine mir vorliegende Fernsehsendung vom Vortag (13.6.1987, West 3 magazin "Gott und die welt" 22.45 Uhr) thematisiert. In dieser im WDR-Archiv befindlichen Version der Sendung (Stand Oktober 2012) ist der in den unten veröffentlichten Briefen bereits am 14.6.1987 dokumentierte Widerspruch des Dominkanerpaters nicht mehr enthalten. In der Fernsehsendung Menschen bei Maischberger "Himmel, Herrgott! Wie viel Religion braucht man zum Leben?" (DAS ERSTE, Dienstag, 09.10.12 | 22:45 Uhr) erinnert Frau Prof. Dr. Uta Ranke-Heinemann an dieses Problem und stellt fest: "Dieser Film, dieses Dokument, ist verfälscht". Die in dieser Sendung geäußerte Aussage des Dominikaners P. Willehad Paul Eckert (1926-2005) "Was Ratzinger sagt, ist falsch" sei nachträglich aus dem genannten Fernsehbeitrag vom 13.6.1987 von unbekannter Hand entfernt worden. So sei nun im WDR-Archiv ledigliuch die verfälschte Fassung vorhanden. Frau Prof. Dr. Ranke-Heinemann hat, wie auch der untere Brief an den Essener Generalvikar dokumentiert, bei der Diskussion mit P. Willehad Paul Eckert aus Ratzingers Buch Einführung in das Christentum (2. Auflage München 1968, Seite 225) zitiert:  "Die Gottessohnschaft Jesu beruht nach kirchlichem Glauben nicht darauf, daß Jesus keinen menschlichen Vater hatte; die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen menschlichen Ehe hervorgegangen wäre. [Denn die Gottessohnschaft, von der der Glaube spricht, ist kein biologisches, sondern ein ontologisches Faktum; kein Vorgang in der Zeit, sondern in Gottes Ewigkeit.]" In der heute vorliegenden Version dieser Fernsehsendung ist dieses Buch lediglich auf einem Beistelltisch zu sehen, aber die öffentliche Zitierung von Frau Prof. Dr. Uta Ranke-Heinemann fehlt in der verfälschten Fassung.

A) Brief von Uta Ranke-Heinemann an Kardinal Ratzinger. Dieser Brief liegt auch als Kopie zu dem unteren Brief an den Essener Generalvikar bei.

"Uta Ranke-Heinemann [Strasse], Essen [Telefonnummer]

14.6.1987.

Italien

Herrn Kardinal

Prof. Dr. Joseph Ratzinger

Rom Vatikan

Sehr geehrter herr kardinal Ratzinger,


ich schreibe Ihnen nicht als dem kardinal, sondern als dem theologen. Hier in Deutschland scheinen theologen bis auf wenige ausnahmen ausgestorben zu sein, aber ich denke, Sie sind einer und leben noch, und darum schreibe ich Ihnen.

Ich habe, wie Sie vielleicht hörten, geäußert, die biologische jungfrauengeburt sei nach meiner persönlichen meinung ein zeitbedingtes vorstellungsmodell. Ich hab daraufhin ärger mit bischof Hengsbach bekommen und mein nihil obstat verloren, (man hat mir in Essen ziemlich übel mitgespielt, eine "erklärung" untergejubelt, die ich nicht autorisiert hatte, und dann einen "verstoß" konstatiert, obwohl diese "erklärung" noch gar nicht existierte, aber das nur nebenbei) aber ich denke, meine meinung ist doch nicht falsch. Ursprünglich war es ja eine sehr schöne vorstellung, Gott durch eine biologische jungfrauengeburt als einen allein und souverän handelnden zu sehen und darzustellen. Die alten dachten sich ja die geburt Jesu ohne männlichen samen und ohne weibliches ei. Die frau war nur der blumentopf, in den der mann, in diesem fall Gott, als das allein zeugende prinzip alles hineinlegte. Die frau steuerte, "außer zur materiellen seite" (Scheeben), nichts bei. Inzwischen aber hat man (1827) die weibliche eizelle entdeckt, und die tut ihren hälftigen teil dazu. Das bild ist darum nicht mehr in der alten weise brauchbar. Gott wäre nicht mehr der alleinige souverän, er wäre der göttliche befruchter einer weiblichen eizelle und damit zu der schrumpflrolle eines übernatürlichen männerersatzes verkümmert. Er wäre ein biologischer vater bzw. dessen ersatz. Jesus wäre eine art mischling, halb Gott und halb mensch. Volles souveränes handeln Gottes im geschlechtsfreien raum (die eizelle ist nun einmal das wichtigste weibliche genitale, entschuldigen Sie bitte) ist seit 1827 auch bei einer biologisch jungfräulichen mutterschaft nicht mehr gegeben, sondern seitdem nur bei einer (theologisch) "jungfräulichen" elternschaft eines natürlichen elternpaares. In dem sohn dieser eltern, Jesus, zieht Gott als Sohn, wie Sie schön und richtig sagen, das geschöpf mensch an sich.

Ich bin noch bei der schweren arbeit des denkens. Aber Sie haben meinen ansatz sicher verstanden. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir antworteten.

Mit freundlichen grüßen

[Unterschrift]


ps. Was für ein hickhack hier in Essen herrscht, und welches theologische niveau in Deutschland dominiert, mögen Sie der beiliegenden kopie entnehmen."

B) Brief von Uta Ranke-Heinemann an den Essener Generalvikar. Dieser Brief liegt auch als Kopie zu dem obigen Briefes an Kardinal Ratzinger bei.

"Uta Ranke-Heinemann [Strasse], Essen [Telefonnummer]

14.6.1987

Sehr geehrter herr generalvikar,

in der anlage schicke ich Ihnen einen brief, den ich heute an kardinal Ratzinger, mit dem zusammen ich in München studiert habe, schrieb. Ich bitte Sie, den brief zu Ihren akten zu nehmen. Der anlaß dafür, daß ich mich jetzt an Ratzinger wandte, ist der umstand, daß gestern in 2 fernsehsendungen mir praktisch verboten wurde, mich auf kardinal Ratzinger zu berufen mit seiner theologischen äußerung "Die Gottessohnschaft Jesu beruht nach kirchlichem Glauben nicht darauf, daß Jesus keinen menschlichen Vater hatte; die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen menschlichen Ehe hervorgegangen wäre" (Einführung in das Christentum 2. aufl. München 1968, s. 225). Es handelte sich um die sendungen samstag 13. juni 1987 18,30 uhr südwest 3 "Beim wort genommen, kirchliche diskussionssendung über die jungfrauengeburt" und 2. 22,45 uhr West 3 magazin "Gott und die welt", einziges thema jungfrauengeburt. Man ist mir nicht nur über den mund gefahren, sondern der dominikaner pater W. Eckert hat ausdrücklich in der 2. Sendung dieser Lehre Ratzingers öffentlich im fernsehen widersprochen. Er hat entsprechende äußerungen von Rahner und Schmaus ebenfalls als falsch bezeichnet. Und Ihr professor aus münster, der mich zu korrigieren im fernsehen angetreten war, (Kertege oder so ähnlich), hat diese äußerung des dominikaners durch schweigen noch unterstrichen. Nach alldem ist klar, daß entweder Ratzinger, Rahner und Schmaus (und ich) in einer so zentralen frage häresieverdächtig sind oder der dominikaner und Ihr professor aus Münster, wenn er dieselbe meinung vertritt. Ich bitte Sie also, diese angelegenheit zu überprüfen.

Mit freundlichen grüßen

[Unterschrift]


ps. Kopie dieses briefes an kardinal Ratzinger."